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b222, Künstler: Archiv Beider Richtungen

 

 

ABR ist die Abkürzung für "Archiv beider Richtungen", das 1982 zusammen mit Ulrich Bernhardt und Gerrit Hoogerbeets gegründet wurde.. Unter diesem Namen war von Anfang an ein als Institution getarntes Projekt gemeint, das im Grunde auf einer Methodik des Ausweichens und der produktiven Verwechslung beruhte. Nicht das Herstellenwollen von Kunstwerken unter einer gemeinsamen Stilprämisse war der Grund unseres Zusammenschlusses, sondern ganz im Gegenteil die Frage, wie man künstlerisch zusammenarbeiten könnte, ohne dabei in die individualistische "Stilfalle" einerseits und in die konzeptuelle "Begriffsfalle" andererseits zu geraten. Die starke Vermutung, einem erweiterten Kunstbegriff müsste eine erweiterte Vorstellung des künstlerischen Subjekts entsprechen, war so naheliegend wie unerprobt. Die Chance, als Gruppe, in der jeder ohnehin in eine andere Richtung tendiert, zu anderen Arbeitsformen zu kommen als unter der Voraussetzung individueller Selbstverwirklichung oder konzeptueller Subjektnegierung, war verlockend. Und viel zu verlieren gab es nicht. Denn keiner von uns verfügte über so etwas wie ein elaboriertes Werk, eher über die verschiedensten Vorbehalte dagegen.

Die postmoderne Verabredung, dass alles "irgendwie" schon einmal da war, hatte auf uns weniger eine desillusionierende als vielmehr eine befreiende Wirkung. Wenn es nicht mehr darum gehen konnte (und kann), sich als Künstler mit aller Gewalt "in die Geschichte einzuschreiben", dann, so erhofften wir, könnten die freiwerdenden, bislang vom "Avantgardestress" blockierten Kräfte endlich zur Hervorbringung entspannter, im Idealfall vielleicht sogar "taoistischer" Techniken eingesetzt werden. - Wie schön, wenn das Nicht-Tun dem Tun, das Nicht-Werk dem Werk zum Verwechseln ähnlich sähe.

Für derlei spekulative Überlegungen bot Stuttgart – eine Stadt, der bis heute das Klischee der Kunstfeindschaft anhaftet – geradezu ideale Voraussetzungen. Da gab es zum einen die von Rudolf Bumiller, Achim Kubinski und Phil Holzhey Mitte der siebziger Jahre gegründete Institution "Galerie und Kunstschule Neue Weinsteige 10", in der versucht wurde, den Unterschied zwischen Produktion und Vermittlung von Kunst konzeptuell aufzuheben und dabei den Begriff des künstlerischen Subjekts als ideologisches Konstrukt zu entlarven.

Zum andern wurde kurze Zeit später von einer Gruppe um Ulrich Bernhardt das Stuttgarter Künstlerhaus eröffnet. Diese noch immer bestehende Institution hatte das erklärte Ziel, den experimentellen, auf Erweiterung angelegten Kunstpraktiken eine sowohl logistische wie konzeptuelle Plattform zu bieten.

Beide Einrichtungen haben in unserer Arbeit Spuren hinterlassen, und mit beiden haben wir auf individuell unterschiedliche Weise zu tun gehabt, so dass hier die Grenzen mehrfach unscharf werden.

Statt also einen neuen Stil oder auch nur eine unverwechselbare Attitüde in die Welt zu setzen, dachten wir an eine vom Essayismus inspirierte "ars combinatoria", eine Kombinationskunst ganz eigener Art. Unter dem auch phonetisch anspruchsvollen Titel "Archiv spekulativer Kombinatorik" stellten wir uns eine Institution vor, in der mittels der Technik des "Gedankensprungs" ausgiebig zwischen den Territorien operiert wird. Im Bermuda-Dreieck von Kunst, Literatur und Philosophie nicht unterzugehen, wäre das Nahziel gewesen, darin zu kreuzen in etwa das Fernziel.

Der Begriff des Archivierens als Arbeitstechnik bezog sich dabei zunächst auf die im Stuttgarter Künstlerhaus unter dem Projektbegriff "Künstlerische Forschung" sich ansammelnden Künstler-Dokumente (Entwürfe, Objekte, Protokolle), die wir als Material für weitergehende Operationen betrachteten und folglich in eine dem Kunstgeschehen adäquate Anordnung zu bringen suchten. Die Frage, ob es für diese im Entstehen begriffene Materialsammlung eine "künstlerische" - das heißt eine nicht den Begriffen der organisierten Wissenschaft verpflichtete - Ordnung geben könnte, führte zu dem allgemeineren Problem, welche Zustandsform Kunst unter den anvisierten nachmusealen Bedingungen überhaupt noch annehmen könnte.

Die Gefahr, sich mit irgendwelchen Künstler-Manifesten an die Öffentlichkeit zu wenden, bestand für uns nie, da wir solche "Durchsetzungsstrategien" für altmodisch und in gewisser Hinsicht sogar für totalitär hielten. Außerdem hätten wir auch nicht viel Neues zu sagen gehabt, außer dass es an der Zeit sei, mal endlich Schluss zu machen mit dem ewigen Weitermachen. Wir dachten an eine Denkpause.

Das konzipierte Archiv wurde zu unserem Glück - noch bevor es zu arbeiten begonnen hatte - auf die Probe gestellt. Irgendjemand fragte: "In welche Richtung sammelt ihr denn eigentlich?" In einer spontanen Eingebung antwortete einer von uns: "Eigentlich in beide Richtungen". Damit war die nötige Unschärfe zurückgewonnen, um nicht das erste Opfer der von uns selbst ausgedachten Institution zu werden. Ein "Archiv beider Richtungen", darauf einigten wir uns, hätte gerade immer so viel innere Ordnung (Sinn) zu erzeugen wie es zu zerstreuen in der Lage wäre.

Um die Gefahr eindimensionaler Sinnproduktion weiter zu minimieren, stellten wir unseren Begriffsapparat einige Zeit auf Dienstleistung um und nannten uns "ABR-Stuttgart. Service und Produktion im Wartesektor". In einer Frankfurter Anwaltskanzlei richteten wir zwar tatsächlich einmal einen Warteraum ein, ansonsten aber sollte der Untertitel vor allem zum Ausdruck bringen, dass in den von der "Wilden Malerei" dominierten achtziger Jahren Abwarten die einzig verbliebene Möglichkeit war, gelassen über die Runden zu kommen. Wenn es schon um nichts anderes als Tapetenwechsel ging, dann wollten wir wenigstens diesem Begriff zu Ehren verhelfen. Tapeten spielen seither die Hauptrolle in unseren Arbeiten und zwar sowohl theoretisch wie praktisch.

Schon unsere ersten Ausstellungen oder Präsentationen hatten denn auch eher parodistische Qualitäten, insofern man unter Parodie eine Technik der Verzerrung versteht. Was jeweils dabei herauskam, hatte wenig gemein mit ernsthafter Kunst. Vielleicht zu wenig. Die in unseren Arbeiten bemerkbare Diskrepanz zwischen bisweilen hochfliegender Theorie und teilweise alberner Präsentation ist ästhetisch nicht in jedem Fall rechtfertigbar, wohl aber erklärbar aus einer Aversion gegen die uferlose Ausbreitung künstlerischer Artefakte.

Die Gruppenkonstruktion diente mehr dazu, sich gegenseitig Ideen auszureden, als welche zu verfolgen. Die an unterschiedlichen Orten gezeigten Objekte erfüllten mehr die Funktion von "Platzhaltern" als die ernsthafter Werke. Die Idee, dass man den Ort der Kunst auch dadurch verteidigen könnte, dass man an seinen Grenzen Markierungen aufstellt, die in etwa so viel besagen wie: "Bis hierher und nicht weiter", hat uns jedenfalls geholfen, uns außerhalb des eigentlichen Ausstellungsbetriebs zu orientieren.

Die weitere Entwicklung von ABR verläuft seither als eine - in die Zeitachse gedehnte -Schleifenbewegung um zwei mitwandernde Pole. Der eine Pol liegt hoch droben im Norden und heißt Polarstern: dieselben Sternbilder kreisen in jahreszeitlich schwankenden Ansichten um immer denselben Punkt. Der andere Pol liegt tief drunten im Süden und hat keinen speziellen Namen, da er sich prinzipiell der Beschreibbarkeit entzieht. Es ist der Punkt, aus dem die Bilder ungerichtet hervorquellen und der noch am ehesten als Chaos zu bezeichnen ist. Ein Ornament entsteht aus der in sich verschränkten Bewegung um diese beiden Pole.

 

Harry Walter

1953-2024

„nicht alles machbare muss gemacht werden.“ verzicht ist für walter manchmal die bessere option. „das kann die gentechnik oder die atomphysik noch von der kunst lernen.“

während seiner zeit als deutschdozent in japan entdeckte er in einem tokioter museum per zufall eine bildrolle aus dem 17. jahrhundert, die ihn tief beeindruckt hat. die fläche war komplett leer – bis auf jene kleine inschrift: „die höchste vollendung der malerei ist das nichtmalen.“ eine erkenntnis, die walter zum kritiker landläufiger vorstellungen von kreativität werden ließ.

„avantgardestress“ nennt er das, von dem er sich schon lange verabschiedet hat. die vorstellung, beständig neues aus sich herauswürgen zu müssen, führe in eine sackgasse. mit tabubrüchen wie jonathan meeses hitlergruß überspielten viele gegenwartskünstler nur, dass die zeit für innovationen vorbei sei.

walter bevorzugt kollegen wie georg winter, der sich der trivialen überproduktion von bildern widersetzt, indem er kameras aus holz baut.

 

„der fluss der moderne ist im mündungsdelta angekommen. ob das wasser noch nach vorne fließt oder wieder zurück, ist nicht mehr zu unterscheiden. es gibt keine alternative zum epigonentum.“

 

 

 

https://www. kontextwochenzeitung.de/kultur/ 702/kunst-als-wartezubehoer-9733.html
Zuletzt überarbeitet: 15.05.2024