Rückhaltlos bejahtes Ausgeliefertsein

[Die] Freiheit der Kunst [...][stößt] heute in der Überbietungslogik des Marktes und in der Gleichgültigkeit des Konsumenten auf unerbittlichere Gegner, als Zensur und das Banausentum seligen Angedenkens es jemals waren. Vielmehr will ich mein Augenmerk richten auf die Freiheit IN der Kunst, eine bizarre Freiheit, die identisch ist mit dem bereitwilligen Verzicht auf Selbstbestimmung und einem rückhaltlos bejahten Ausgeliefertsein.

Zur Klärung der Fronten ein paar drastisch formulierte Erinnerungen an das verlorene Paradies, die dreißig wüsten Jahre, das [...][Kunstmachen] in Saus und Braus, den gebrandschatzten Schädel und die verpraßten Bildungsgüter.

“A man cannot say, ‚I will compose poetry.’ The greatest poet even cannot say it.” Das notierte Percy Bysshe Shelley, einer der virtuosesten Könner, der es wissen mußte. Er redet von einer Unverfügbarkeit, die durch keine Willensstärke zu überspielen oder in den Griff zu bekommen ist, von jenem Eigensinn der Kunst, der schaltet und waltet, wie er will, und nicht, wie es uns zupasse kommt. Auch an Nachgeborenen wurde da gern das eine oder andere Exempel statuiert, weshalb ich mich periodisch kaltgestellt sah und von vorneherein als Quartals[künstler][...] über die Runden kommen mußte. Ganz wie sein bekannteres alkoholabhängiges Double, der Quartalssäufer, bin ich von den rauschhaften, kreativen Intervallen immer wieder in aride, knochentrockene, ausgedörrte Perioden geraten, in denen die nach dem Lebenselixier dürstende Zunge unter dem Gaumen klebte und mir meine staubgraue Umwelt schulterklopfend Normalität bescheinigte.

Das war als Kompliment gemeint für ein Wesen, das jetzt wieder verläßlich, pünktlich und mit den mittelfristig zu erwartenden Resultaten seine Pflicht tat, das in Wirklichkeit aber lieber heute als morgen zurückverwandelt werden wollte in etwas ganz anderes, Unverantwortliches, in den Hochstapler und Roßtäuscher, der hinter einer geschickt aufrechterhaltenen Fassade von Berechenbarkeit und Disziplin seinem Brotberuf die Zeit stahl und sich in der Heimlichkeit des Lasters so mit seinem Allerheiligsten vergnügte wie der Quartalssäufer mit dem Flachmann. Nur daß die Droge Kunst eben auf Köpfe statt auf Flaschen gezogen wird und keiner über Abfülltermin und Distributionssystem im Bilde ist.

Dreißig Jahre lang ist etwas nach Gutdünken mit mir umgesprungen. Hat mich ein- und ausgeschaltet, wie ein Schleifer Rekruten mal hochjagt, mal zur Öde des Nichtstuns verdammt. Wie die Einberufenen durch den Schlamm auf den Asphalt und vom Asphalt ins eiskalte Wasser gehetzt werden, bin ich immer schon abwechselnd durch die Mangel von [...] [Zeichnung, Malerei, Bildhauerei] gedreht worden, bis mir und den verzweifelnden [...][Galeristen] die Sinne schwanden. Wieder und wieder ging etwas ganz anderes von neuem los und machte die Kontinuität und Wiedererkennbarkeit zunichte, ohne die auch der [...][Kunst]markt den Anbieter so wenig durchsetzen kann wie der Kaufpark ein Produkt ohne Markenzeichen. Für das Finanzamt steht deshalb schon länger fest, die Doppelexistenz hat sich nicht ausgezahlt. Und welche Summe ziehe ich aus den Blessuren, Gewaltmärschen, Ausfällen, aus ungereimten Scharmützeln und schuldig gebliebenem Fersengeld? Ich ziehe daraus einen immerhin siebenundreißigstelligen Saldo. Er lautet: Ich bin ein verfluchter Glückspilz gewesen.

frei nach U. Horstmann, umgearbeitet von C.H. Praetorius

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Zuletzt überarbeitet 15.10.2004 Copyright 2003 bei b222.de und den Künstlern. E-Mail: b222 at b222.de
 
Texte: Horstmann