»Die Kunst erlöst uns von gar nichts« - Bruce Nauman

Auszug aus einem Interview von H. Rauterberg

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Nauman: (...)...Wissen Sie, ein paar gute Freunde von mir fühlen sich sehr dem Zen-Buddhismus verbunden. Und doch haben sie dieselben Probleme wie wir alle, sie verlieren ihre Arbeit, ihre Ehen zerbrechen, sie betrinken sich. So ähnlich ist das auch mit der Kunst, sie befreit uns von gar nichts. Vielleicht hilft sie manch einem, sich selbst besser wahrzunehmen. Aber selbst das weiß ich nicht so genau.

H.R.: Ihre Kunst dient nur der Kunst?

Nauman: Ganz so weit würde ich nicht gehen. Im besten Falle verleiht sie uns eine Art Energie. Aber das verändert die Leute nicht. Sie gehen zurück in ihre Welt, in ihr Leben und tun, was sie tun. Nur ganz selten kann die Kunst etwas verschieben.

H.R.: Ist Ihnen das mal so ergangen?

Nauman: Eigentlich nur ein einziges Mal, 1968 war das. Da betrat ich ein dunkles Kabinett der National Gallery hier in London und sah diese Zeichnung von Leonardo da Vinci, die Madonna mit Jesus und Johannes. Es war so bewegend. Ich erblickte dieses Kunstwerk und dachte: Oh, das war wohl eine andere Art von Mensch. Immer wenn ich in London bin, sehe ich mir dieses wunderbare Blatt wieder an.

H.R.: Hat Sie diese Erfahrung verändert?

Nauman: Ja, dieser Leonardo hat etwas in mir verändert. Ich könnte aber nicht sagen, was es ist. Das Bild hat etwas in mir geöffnet.

H.R.: Es hat Sie aber nicht zum Lyrischen und Schönen bekehrt.

Nauman: Es stört mich nicht, wenn meine Kunst hier und da einmal schön oder lustig ist. Ich gehöre aber nicht zu den Künstlern, die Bäume und Tiere und Landschaften im Abendlicht malen. Ich verspüre einfach kein Bedürfnis, das zu tun.

H.R.: Was für ein Bedürfnis verspüren Sie dann?

Nauman: Ich wünsche mir von meiner Kunst etwas Direktes und Befremdliches. Dass sie die Besucher entweder völlig kalt lässt oder aber ganz für sich vereinnahmt. Am liebsten ist es mir, wenn sie uns kalt erwischt, wie ein Schlag ins Genick. Uns einfach umhaut und wir gar nicht erst dazu kommen, uns irgendwelche Geschmacksfragen zu stellen. Mir gefällt das Unvorhersehbare.

H.R.: Was meinen Sie damit?

Nauman: Ich denke da immer an ein Beispiel: Ich gehe im Dunkeln eine Treppe hoch, möchte die letzte Stufe nehmen, doch weil ich schon oben bin, kommt keine mehr, und ich trete ins Leere. Das ist so ein seltsames Gefühl, das man dann hat. Unsere Erwartung wird durchbrochen.

H.R.: Verstehen Sie Ihre Kunst als so eine Art Treppe, als eine Art Versuchsanordnung?

Nauman: Manchmal schon. Es geht mir um sehr präzise Erfahrungen, nicht um irgendetwas Beliebiges, nicht ums Herumspielen. Natürlich habe ich am Ende keinen Einfluss auf die Rezeption, leider nicht. Aber ich kann klare Vorgaben machen.(...)

H.R.: Fühlen Sie sich auch von Samuel Beckett beeinflusst? Das wird ja immer gesagt.

Nauman: Ja, ich mag seine Sparsamkeit. Heute lese ich zwar lieber mystery novels von Raymond Chandler, Alan Furst oder John Le Carré. Damals aber entdeckte ich bei Beckett vieles, was auch in meinen Arbeiten wichtig war. In seinem Buch Der Verwaiser schildert er Menschen, die in merkwürdigen Räumen herumirren, in Räumen mit grünlichem hellen Licht, aus denen sie nicht entkommen. Da gibt es keinen Anfang und kein Ende, keinen Fortschritt, ähnlich wie bei mir. Manche sagen deshalb, meine Kunst sei sehr pessimistisch. Das glaube ich aber nicht, denn ein wahrer Pessimist würde gar nicht mit der Kunst beginnen. Ich aber mache Kunst und begreife das durchaus als etwas Hoffnungsvolles.

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Ich bin ja Künstler, weil ich etwas machen will. Leider gibt es aber immer wieder lange Phasen, in denen ich nichts machen kann, weil mir nichts einfällt. Irgendwann fange ich dann einfach an, irgendwas zu machen, ganz egal ob mit guter Idee, schlechter Idee, keiner Idee. Ich mache einfach etwas aus dem, was so herumliegt. Und gerade diese Dinge, die aus einer Sprachlosigkeit heraus entstehen, aus Verzweiflung heraus, sind oft die wichtigsten. Sie führen zum Kern, zu der Frage, wer ich bin und warum ich überhaupt irgendetwas tun will.

H.R.: Sie verzweifeln an Ihrem Drang zur Kunst?

Nauman: Ja, daran, etwas tun zu müssen. Für eine gewisse Zeit kann man sich der Illusion hingeben, man mache nur ein wenig Ferien. Nur wenn das zu lange dauert, so nach sechs Monaten ...Wissen Sie, als ich mit der Kunstschule fertig war, hatte ich mir fest vorgenommen, nun ein Künstler zu sein. Doch ich wusste nicht, wie. Und je mehr ich versuchte, es herauszufinden, desto aussichtsloser wurde die Sache. Das Atelier war eigentlich leer, weil ich mir kaum Material leisten konnte. Vor allem habe ich damals Kaffee getrunken, zwischendurch habe ich mich immer wieder gefragt, was ich machen sollte. Heute ist das nicht viel anders. Manchmal entwickelt sich ein Projekt aus dem anderen. Aber meistens stehe ich wieder völlig am Anfang und muss für mich neu ergründen, warum ich eigentlich im Atelier bin.

H.R.: Das klingt nach ziemlicher Quälerei.
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Nauman: Leider ist es für mich sehr schwierig, irgendetwas anderes zu tun, wenn meine Arbeit im Atelier nicht gut vorankommt. Mein Energiepegel sinkt stark ab. Ich kann dann nur noch das Wichtigste machen, mehr nicht. Erst wenn es mit der Kunst klappt, komme ich auch sonst wieder in Schwung. Und so gehe ich jeden Tag ins Atelier, und sei es nur, um zu lesen oder um ein Nickerchen zu machen. Hauptsache, ich bin da. Sonst, das weiß ich, kommen die Dinge nicht voran. (...)


(...) In der Kunst kann niemand überprüfen, ob du als Künstler richtig oder falsch liegst. Ob du ehrlich zu dir selbst bist und dich durch ein Problem so gut wie nur möglich hindurchgearbeitet hast, das kannst nur du allein beurteilen. Das legt schon ziemlich viel moralisches Gewicht auf das Ganze. Und das macht es wohl für mich auch so schwierig, mit einer Arbeit zu beginnen. Du musst dir selbst vertrauen, und das Publikum muss dir vertrauen.
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Nauman: Wenn ich mir im Atelier überlege, wie meine Kunst wirken wird, dann stelle ich mir immer einen guten Freund und dessen Reaktionen vor. Ich denke nicht an abstrakte Besucher oder an eine große Masse. Und erst recht kann ich mir nicht vornehmen, ein bestimmtes Thema abzuhandeln. Wenn sich etwas Politisches einschmuggelt, dann ist das ganz in Ordnung. Aber ich kann das nicht erzwingen.

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Bei mir bewegen sich die Dinge eher langsam, so wie damals, als ich einige Erzählungen von Naipaul über Südamerika und das Unrecht dort gelesen hatte. Vor allem "Die Rückkehr von Evita Perón" bewegte mich sehr. Und da versuchte ich, davon auch etwas in meiner Kunst aufscheinen zu lassen. Es entstand die Installation Südamerikadreieck. Als ich die in meinem Atelier hängen hatte, musste ich erst einmal sechs Monate mit dem Arbeiten aufhören. Mir gefiel die visuelle Stärke, aber ich hatte mich noch nie so stark persönlich und politisch hinausgewagt. Ich musste lange überlegen, ob ich das wirklich wollte. In einer meiner Arbeiten gibt es den Satz: »Menschen sterben an Selbstentblößung.«


Bruce Nauman im Gespräch mit (und aufgezeichnet von) H. Rauterberg 10/ 2004

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Zuletzt überarbeitet 15.10.2004 Copyright 2003 bei b222.de und den Künstlern. E-Mail: b222 at b222.de
 
Texte: Nauman